Der Gehäuseplan für das Arciorgano
Die Gestaltung des Gehäuses des Arciorgano stützt sich einerseits auf die Darstellung auf der Medaille, andererseits folgt sie architektonischen Prinzipien der Antike und der Renaissance. Dieser Text beschreibt die wichtigsten Elemente, die zur Gestaltung des Gehäuses beigetragen haben.
Ein Beitrag von Robert Bamert.
Grundlagen
1. Antike, harmonikale Proportionenlehre
Die klassische, auf die Antike (Pythagoras) zurückgehende harmonikale Proportionslehre,1 die auf den mathematischen Gesetzmässigkeiten der musikalischen Intervalle gründet, erfuhr in der Renaissance durch die Schriften von Leon Battista Alberti (1404–1474),2 Andrea Palladio (1508–1580)3 u.a.m. eine Wiederbelebung, welche die Architektur und die Malerei in eine direkte Verwandtschaft mit der Musik setzte:
Die Zahlen, vermittels welcher die Harmonie von Tönen unser Ohr entzückt, sind ganz dieselben, welche unser Auge und unseren Verstand ergötzen. (Leon Battista Alberti).
2. Die Medaille
Vicentinos Medaille mit dem umlaufenden Text „PERFECTAE MUSICAE DIVISIONIS. Q. INVENTOR“ (Erfinder der Teilung [sc. in chromatische und enharmonische Genera] und der perfekten Musik) bildet in perspektivischer Darstellung das Archicembalo und das Arciorganum in einem sehr schönen, klassischen und harmonischen Aufbau in der sogenannten 'Toskanischen Ordnung' der Renaissance ab. Die schichtweise Gliederung umfasst Fundament, Sockel und Oberbau. Dieser enthält die Orgelpfeifen und ist an den vier Ecken mit Pilastern eingefasst.
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Die für die Rezeption im Mittelalter und der Renaissance wichtigste Schrift ist Boethius, De institutione musica, übersetzt in Oscar Paul, Boetius und die griechische Harmonik. Des Ancius Manlius Severinus Boetius Fünf Bücher über die Musik, Leipzig: Leuckart 1872. ↩
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Leon Battista Alberti, De re aedificatoria, Rom 1443-1452 ↩
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Andrea Palladio, I quattro libri dell'architettura, Venedig: Dominico de' Franceschi 1570. ↩
So weit so gut, wären da nicht auffallende Irritationen auszumachen. Der obere Abschluss der Eckpilaster wirkt ‚abgebrochen’ und evoziert damit den Charakter eines ‚Torso’. Der klassische obere Abschluss mit Architrav ist auf den Sockel abgerutscht und widerspricht damit der klassischen Ordnung der Architektur! Eine Windlade in der Dachform eines Architravs ist orgelbautechnisch nicht möglich!
Warum wurde also ein ‚Torso’- Gehäuse auf der Münze dargestellt? War zu wenig Platz auf der nur knapp 5 cm grossen Münze? War es Unkenntnis des Gestalters von Orgelbau und klassischer Architektur? War die Schaffung einer transportablen Gehäusegrösse massgebend? War es eine erklärte Absicht von Vicentino in Zusammenarbeit mit dem Orgelbauer?
Ein ‚Torso’ (z.B. einer Skulptur) kann durch spätere Gewalteinwirkung an einer vollständigen Skulptur oder durch Auswahl eines (zu) knappen rohen Steines durch den Bildhauer entstehen.
3. Werbeblatt von Vicentino von 1561 für sein Arciorgano
Die vollständige Übertragung der Quelle kann hier eingesehen werden, eine kommentierte Übersetzung hier.
Zeilen 8 – 11 "... längste Pfeife in der Front nur 5 Fuss ..." "... von Ort zu Ort zu schaffen ..."
Zeilen 12 – 13 "... auseinander nehmen und in Behälter packen ... für Last eines Maultiers ..." "... Zusammensetzen nicht mehr als 4 bis 5 Stunden ..."
Zeilen 14 – 18 "... Pfeifen in Gestalt einer Mitra ..." "... sehr schön anzusehen ..." "... in engem Raum unterzubringen ..." "... nicht mehr Platz als Länge und Breite der gewöhnlichen Tastatur der Orgel ..."
Gedanken zum Gehäuse-Entwurf
1. Torso
Die Idee des ‚Torso’, als Anregung aus der Darstellung auf der Medaille, wird zum Leitmotiv für den Gehäuse-Entwurf.
Der Gehäuseentwurf soll als narratives, historisierendes „Zitat“ – mit kritischer Distanz – anstelle eines vorgetäuschten „Originals“ zur Wirkung kommen.
2. Klassische Ordnung und Proportionen
Der Entwurf will sich historisierend in die Entstehungszeit des Arciorgano einordnen. Die klassische Proportionslehre und Architekturregeln der Renaissance werden dabei angewendet.
Der Aufbau und die Gliederung des Gehäuses sind der 'Toskanischen Ordnung', wie sie Palladio in seinen „Quattro Libri“ zeichnet und beschreibt, angenähert. Die Toskanische Ordnung war eine Erfindung der Renaissance und stellt eine in der Antike nicht vorkommende Variante der architektonischen Ordnung dar.
Die Masse der Windlade, der Tastatur, der Traktur und des Pfeifenaufbaus waren vor Beginn des Gehäusentwurfs bereits festgelegt! Dieser etwas ungewöhnliche Ablauf bedingte ein schwieriges Herantasten an ideale harmonikale Proportionen, was schliesslich zur konsequenten Anwendung der Proportionen einer harmonikalen Quint 2:3 und Quart 3:4 führte.
Die Front des Gehäuses wird – nebst dem harmonikalen Linienraster – mit einer Proportionsfigur, wie sie beispielsweise auch Leonardo da Vinci verwendete, überlagert. Diese Konstruktion lieferte Schnittpunkte und Orte auf dem Plan für alle wichtigen Teile und Gliederungen.
Die horizontal umlaufenden Profile, welche die Gehäusegliederung unterstreichen, sind nach den Regeln der antiken Steinhauerkunst gezeichnet. Dabei ist nicht der geometrische Zirkelschlag sondern eine der Natur entliehene Form, nämlich die Spirale oder Schnecke massgebend. Hier spiegelt sich die Unterscheidung der göttlichen und der irdischen Ordnung wieder, wie sie im „Ptolemaios“ von Plato geschildert ist.
3. Konstruktion und Material
Es sollte ein transportables Instrument geschaffen werden, das, unterstützt durch die knappen Masse des Gehäuses, einfach zu de- und montieren sowie zu transportieren ist.
Als Material für das Gehäuse wurde Kastanienholz gewählt, eine von vier Holzarten (neben Zypresse, Fichte, Ahorn), die in Italien häufig für den Orgelbau verwendet wurden.
Der Unterbau bildet die architektonische Basis und enthält Raumreserven für eine zukünftige Elektronik. Der Oberbau mit Tastatur, Windlade und Pfeifen ab 5 Fuss Länge ist mittels Tragstangen transportierbar. Der Stock für die Basspfeifen von 8 bis 5 Fuss liegt hinten auf Fussboden-Niveau, die beiden Keilbälge sind links seitlich, auf ausgezogenen Tragstangen liegend, an die Orgel angedockt.