Im Januar 2016 hatte ich die aussergewöhnliche Gelegenheit, ein Rezital auf der Fokker-Orgel im Kleine Zaal des Muziekgebouw Amsterdam vorzubereiten (die Aufführung war Teil der Konzert-Reihe der Huygens-Fokker-Stiftung). In diesem Beitrag berichte ich von den Erfahrungen mit der Orgel und von den Erkenntnissen, die sich auf die Arbeit mit historischen vieltönigen Klaviaturen auswirken.
Erste Orientierung
Auf den ersten Blick hat die Fokker-Klaviatur mit konventionellen Klaviaturen nichts gemeinsam. Wenn man jedoch an der Orgel sitzt und versucht, die Logik der Tasten-Anordnung nachzuvollziehen, werden die Verbindungen zu normalen Klaviaturen bzw. zu den vielfach geteilten Klaviaturen des 16. und 17. Jahrhunderts schnell klar. Da ich mich in den Klaviatur-Layouts von Vicentino (Arciorgano bzw. Archicembalo) und von Trasuntino (Clavemusicum Omnitonum) gut orientieren kann, waren diese beiden Layouts die wichtigsten Referenzen beim Erkunden der Fokker-Klaviatur.
Die allererste Orientierung auf der Klaviatur ist durch die Farbgebung schnell klar und selbsterklärend: die weissen Tasten entsprechen den Untertasten einer normalen 12-stufigen Klaviatur.
Zwischen den weissen Tasten der Fokker-Klaviatur befinden sich jeweils zwei schwarze Tasten. Diese entsprechen naheliegenderweise den doppelten Obertasten eines cimbalo cromatico "commune", d.h. eines cimbalo cromatico mit 17 oder 19 Tasten pro Oktave. (In diesem Fall müssen es 17 sein, denn die beiden für ein cimbalo cromatico commune üblichen Tasten für eis und his (kleine Tasten zwischen e und f und zwischen h und c) fallen auf der Fokker-Klaviatur schon in die Kategorie der enharmonischen Töne.) Das heisst, die doppelten bzw. geteilten schwarzen Tasten sind stets entweder die ♯- oder die ♭-Alteration einer weissen Taste. Auf konventionellen 12-stufigen Klaviaturen liegen beide Alterationen auf der gleichen Taste.
An diesem Punkt wird die genaue Verteilung der ♯ und ♭ noch offengelassen; es soll erst einmal darum gehen, die Klaviatur-Bereiche zu verstehen und zu vergleichen. Bis hierher sind die Entwürfe von Vicentino und Trasuntino identisch.
Die nächste Erweiterung betrifft die enharmonischen Stufen. Diese können entweder als Doppel-♯ und Doppel-♭ formuliert werden, oder durch Vicentinos enharmonisches Versetzungszeichen "•", das eine Note um eine Diesis (ca. ein Fünftelton) anhebt. Mit diesem Schritt beginnen sich die drei Klaviaturen markant zu unterscheiden: Fokker fügt die neuen Tasten in das gleiche geometrische Muster ein und färbt sie blau. Vicentino verlagert die neuen Tasten auf ein zweites Manual, das in sich wieder eine diatonisch-chromatische Struktur birgt. Trasuntino teilt die Obertasten weiter nach hinten.
Nun haben alle drei Klaviaturen 31 Stufen pro Oktave. Die genaue Tastenbelegung der Fokker-Klaviatur ist bei genauer Betrachtung evident: die ungebrochene Symmetrie des Tastenbildes kann nur erreicht werden, wenn die schwarzen ♯-Tasten unten und die schwarzen ♭-Tasten oben liegen. So entstehen Alterations-Pfade: vom c aus schräg abwärts nach rechts liegt cis, in die gleiche Richtung ein Schritt weiter liegt das blaue cisis. Entsprechend: vom d aus schräg aufwärts nach links liegt des, in der gleichen Richtung weiter liegt das deses. Das deses liegt eine Diesis über c, könnte also auch als c• bezeichnet werden. D.h. vertikale Bewegungen auf der Klaviatur führen zu Verschiebungen um eine Diesis. So liegt das eben beschriebene cisis eine Diesis unter d.
Bei historischen geteilten Obertasten ist die Bedeutung der Tasten-Glieder nicht eindeutig aus ihrer Lage im Klaviatur-Layout ersichtlich, sondern könnte im Prinzip frei gewählt werden. In der Welt der cimbali cromatici ist es jedoch üblich, die erste Reihe der Obertasten mit den am häufigsten vorkommenden Alterationen zu belegen, das heisst cis, es, fis, gis und b. Die zweite Reihe der Obertasten ist damit ebenfalls definiert. Trasuntino führt diese Teilung in der dritten und vierten Reihe konsequent fort. Vicentino definiert eine neue diatonische Anordnung, die jedoch konsequent um eine Diesis höher liegt als die weissen Tasten. Damit wird Bedeutung dieser Tasten als Alteration diatonischer Tasten des Untermanuals verschleiert, die innere Struktur der "•"-Noten jedoch umso offensichtlicher. Aus diesem Grund favorisiert Vicentinos Tastatur die Notation mit "•", während für Trasuntino und Fokker die herkömmliche Notation mit Doppelvorzeichen naheliegender ist.
Der aus meiner Sicht wichtigste Unterschied zwischen den Klaviaturen liegt im Grad der Symmetrie. Das Fokker-Layout erlaubt uneingeschränkte Transposition ohne Anpassung der Griffe. (Dies dürfte von der "Jankó-Klaviatur" übernommen worden sein.) Das heisst, ein Griff kann beliebig auf der Klaviatur verschoben werden und führt zu immer gleichen Intervallen. Auf den beiden anderen Klaviaturen ist dies nicht möglich und erfordert massive Denkleistung bzw. komplexe Reflexe. Der Preis, den man auf der Fokker-Orgel dafür bezahlt, ist jedoch hoch: Die Finger wissen nie, wo sie sich befinden, denn jeder Ton, jeder Griff, jede Melodie und jede Progression "fühlt" sich auf jeder Stufe gleich an. Durch die Asymmetrie konventioneller Klaviaturen können sich die Hände nur über den Tastsinn sofort orientieren und einen bestimmten Ton reflexartig finden. Auf der Fokker-Orgel ist dies ohne visuelle Kontrolle unmöglich. Diese für die haptische Orientierung wertvolle Asymmetrie ist bei Vicentino und Trasuntino gleichermassen immer noch vorhanden, das heisst, blindes Spiel ist prinzipiell genauso möglich wie auf konventionellen Klaviaturen.
Lernen
Meine ersten Schritte an der Orgel bestanden aus einfachen, elementaren Melodien. Obwohl die Oktavspanne mit jener auf normalen Klaviaturen vergleichbar ist, fühlen sich die Intervalle deutlich anders an. Der Ganzton und die grosse Terz sind sehr einfach, weil die Tasten horizontal nebeneinanderliegen. Die Quarte und die Quinte verlangen bereits eine Schräglage der Hand, die bei der Oktave noch ausgeprägter wird.
Die Tasten sind angenehm zu berühren und es macht Freude, sich wie ein Insekt von Taste zu Taste zu bewegen, um die Intervalle gemäss der geometrischen Logik der Klaviatur zusammenzubauen:
- ein Schritt horizontal: Ganzton
- zwei Schritte horizontal: grosse Terz
- nach rechst schräg abwärts: chromatischer Halbton nach oben (♯-Richtung)
- nach rechts schräg aufwärts: diatonischer Halbton nach oben (♭-Richtung)
- vertikal: Verschiebung um eine Diesis
Melodien ohne grosse Sprünge muss man deshalb in vollem Bewusstsein der beteiligten Intervall-Grössen greifen. So war es für mich eine schöne Erfahrung, die vier Modi zu üben, ohne auf die Klaviatur zu schauen. Während man auf konventionellen Klaviaturen die Modi sehr kopflos spielen kann, weil man einfach von weisser Taste zu weisser Taste geht, muss man auf der Fokker-Klaviatur die Halbtöne bewusst behandeln, was sich fast schon wie ein aktives Intonieren anfühlt – eine geistige Betätigung, die Tastenspielern üblicherweise verwehrt bleibt. Ich beobachtete, dass auch das Gehör viel aktiver involviert sein muss, um die Klaviatur zu lernen.
Weitere Übungen betrafen Akkord-Griffe: Grundsätzlich sind grosse Intervalle schwieriger zu treffen, da nicht nur die Spreizung der Hand eine Rolle spielt, sondern auch der genaue Winkel. Letzteres ist ungewohnt und scheint auch nach langem Üben nie eine gewisse Ungenauigkeit zu überwinden. Nach meiner Erfahrung ist es das schwierigste, eine Oktave zu greifen.
Spielen
Bei der Einstudierung von Stücken ist man natürlich erst mal markant langsamer als auf konventionellen Klaviaturen. Meiner Einschätzung nach sogar deutlich langsamer als auf Vicentino- oder Trasuntino-Klaviaturen. Es ist ein beflügelndes Gefühl, wenn die Finger in einem einstudierten Stück ihren Weg plötzlich finden, ohne dass man jede Bewegung bewusst plant und kontrolliert.
Dennoch gelang es mir nicht, eine gewisse lockere Selbstverständlichkeit zu erreichen, die ich auch in den schwierigsten atonalen Passagen auf meiner 24-tönigen Cembalo-Klaviatur (eine unvollständige Variante des Trasuntino-Entwurfs) nach gewisser Zeit erreiche und behalte.
Möglicherweise liegt der Grund dieser anhaltenden Unsicherheit in der bereits erwähnten Unmöglichkeit, sich haptisch absolut zu orientieren. Auch wenn die Finger ihre relativen Bewegungen zielsicher kennen, bleibt das Fehlen einer absoluten Orientierung als Verunsicherung bestehen. Sobald ich eine falsche Note spiele, habe ich das Bedürfnis, die Hände neu auszurichten, um aus der korrigierten Situation heraus weiterzuspielen. Auf normalen Klaviaturen funktioniert dies intuitiv, denn die Hände wissen immer, wo auf der Klaviatur sie sich gerade befinden. Auf der Fokker-Klaviatur muss ich hingegen jeden Finger visuell prüfen, bevor ich mich sicher fühle, den einstudierten relativen Bewegungsablauf fortzusetzen.
Dies führt dazu, dass der musikalische Fluss durch Fehler leicht bedroht und oft sogar zerstört wird. Die einzige Lösung besteht meiner Meinung nach darin, die Stücke konsequent auswendig zu lernen und hauptsächlich mit den Augen zu spielen.
Improvisation
Die Stärke der Fokker-Orgel liegt aus meiner Sicht in der freien Improvisation: die Klaviatur befreit den Spieler von diatonischen geometrischen Strukturen. Die Distanzen innerhalb der Klaviatur lassen zuverlässig auf das klangliche Resultat schliessen, was vor allem bei Clustern eine präzise Spielweise ermöglicht. Schwebungs-Phänomene können intuitiv leicht und präzise dosiert werden.